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Getreideversorgung in Europa

Hat Europa genug Getreide - um sich zu versorgen? Die Fakten

Getreidefeld.
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Dr. Olaf Zinke, agrarheute
am Dienstag, 24.05.2022 - 11:03 (10 Kommentare)

Europa gehört zu den größten Getreideproduzenten der Welt. Und zu den größten Exporteuren. Vor allem Nahrungsgetreide wird exportiert.

Getreideernte in Europa.

Getreide ist knapp auf der Welt. Die Preise sind so hoch wie noch nie. Viele Länder können sich nicht ausreichend mit Getreide versorgen und sind auf Importe angewiesen. Der Krieg am Schwarzen Meer hat deutlich gemacht, wie schnell sicher geglaubte Handelsbeziehungen und Lieferketten zusammenbrechen und die Versorgung gefährdet ist.

Länder wie China hamstern Getreide, aus Angst vor Versorgungsproblemen. Andere Staaten wie Indien, Argentinien und auch Russland, versuchen die Ausfuhr über Zölle oder Exportauflagen zu regulieren, um so die eigene Versorgung zu sichern oder auch - die oftmals rekordhohe Inflation am Binnenmarkt zu bekämpfen. Europa gehört beim weltweit wichtigsten Nahrungsgetreide Weichweizen und auch bei Gerste zu den weltweit größten Produzten und Exporteuren.

Das heißt: Die Versorgung am europäischen Binnenmarkt ist nicht nur gesichert, sondern die Europäer verkaufen reichlich Weizen in die ganze Welt. Und sie sichern so die globale Versorgung zu einem wesentlichen Teil mit. Außerdem fließt auch reichlich Getreide am europäischen Binnenmarkt zwischen den europäischen Ländern hin und her – je nach Anbaubedingungen und Versorgungslage bei den unterschiedlichen Getreidearten.

Beim für die globale Versorgung mit Nahrungsgetreide auschlaggebenden Weizen, sind die Europäer knapp hinter Russland der zweitgrößter Exporteur der Welt – deutlich vor Australien, Kanada, den USA oder auch der Ukraine und Argentinien. Ein Ausfall der europäischen Lieferungen hätte danach für die globale Versorgung mit Nahrungsgetreide noch erheblich größere Auswirkungen, als etwa der Ausfall der Ukraine.

Europa ist sehr gut versorgt und versorgt die Welt

Dabei ist die Versorgungslage bei den einzelnen Getreidearten und auch in den verschiedenen europäischen Ländern durchaus unterschiedlich. Doch Defizite werden durch den innereuropäischen Handel schnell ausgeglichen. Außerdem gibt es wegen der unterschiedlichen natürlichen und ökonomischen Bedingungen – wie am Weltmarkt auch – eine gewisse regionale Spezialisierung auf bestimmte Getreidearten.

Insgesamt rechnet die Kommission für die neue Ernte mit einer Produktion von 296 Millionen Tonnen Getreide. Der Verbrauch in der EU wird auf 258 Millionen Tonnen veranschlagt und damit auf 87 % der Produktion. Exportiert werden nach Einschätzung der Kommission 55 Millionen Tonnen Getreide – das sind fast 19 Prozent der Produktion – davon vor allem Weizen und Gerste.

Importiert werden 14 Millionen Tonnen – davon sind zwei Drittel Mais und der Rest vor allem Hartweizen (Nudeln). Der Mais kam in der Vergangenheit in der Hauptsache aus der Ukraine und aus Brasilien – könnte rein theoretisch teilweise aber auch durch Futterweizen und Gerste ersetzt werden. Andere Getreideimporte aus der Ukraine (außer Mais) gibt es in Europa nicht.

Von dem insgesamt verbrauchten Getreide werden lediglich 59 Millionen Tonnen bzw. rund 23 % für Nahrungszwecke eingesetzt. Also fast eine ähnliche Menge wie exportiert wird. Die Industrie verbraucht für verschiedene Zwecke etwa 29 Millionen Tonnen oder 11 % der gesamten Verbrauchsmenge – davon werden 11 Millionen Tonnen zu Bioethanol verarbeitet. Das sind hauptsächlich Mais, Weizen, Gerste und etwas Roggen.

Verfüttert werden 159 Millionen Tonnen Getreide bzw. gut 60 % der Verbrauchsmenge: Davon sind knapp 63 Millionen Tonnen oder 40 % Mais, 38 Millionen Tonnen oder 24 % Weizen und 35 Millionen Tonnen oder 22 % Gerste. Der verfütterte Weizen ist in der Regel nicht oder nur bedingt als Nahrungsweizen geeignet, denn ihm fehlen die dafür notwenigen Qualitäts-Eigenschaften und Eiweißgehalte (Düngung).

Große Überschüsse bei Weizen – für den Export

weizenernte in der EU.

Das wichtigste Nahrungsgetreide ist der Weichweizen. Die Kommission rechnet für die neue Saison mit einer Ernte von 130 Millionen Tonnen. Der Verbrauch der Europäer wird auf 93 Millionen Tonnen veranschlagt und damit auf knapp 72 % der europäischen Produktion.

Gleichzeitig werden nach den Erwartungen der Kommission 40 Millionen Tonnen Weichweizen exportiert – das wären nicht nur 31 % der Produktion, sondern nach dieser Prognose auch 8 Millionen Tonnen mehr als im laufenden Jahr – obwohl die Produktion kaum größer ist. Das geht natürlich zu Lasten der Bestände (und der Sicherheit) und auch der industriellen Nutzung und der Futterverwendung.

Verfüttert werden nach Einschätzung der Kommission knapp 38 Millionen Tonnen oder 29 % der Verbrauchsemenge. Das sind rund 1 Millionen Tonnen weniger als im vorigen Jahr. Der europäische Bedarf an Nahrungsweizen liegt relativ stabil bei 41 Millionen Tonnen oder 32 % der Verbrauchsmenge. Knapp 9 Millionen Tonnen oder 7 % werden industriell verwertet.

Die größten europäischen „Überschussproduzenten“ und Exporteure bei Weizen sind Frankreich, Deutschland und Rumänien – gefolgt von Polen und den baltischen Ländern sowie Bulgarien. In der aktuellen Saison zeigt die Exportstatistik der Kommission für die EU 27 bis zum 15. Mai Weizenexporte von 24,5 Millionen Tonnen an. Davon hat allein Frankreich 7,2 Millionen Tonnen in Drittländer verkauft, Rumänien 6,0 Millionen Tonnen und Deutschland 3,2 Millionen Tonnen. Bulgarien, Polen und die baltischen Länder kommen jeweils auf Ausfuhren von reichlich 1 Millionen Tonnen.

Abnehmer von europäischem Weizen waren in der Hauptsache: Algerien, Ägypten, China, Nigeria und Marokko – und zahlreiche andere Staaten aus dem Nahen Osten, Nordafrika und Asien. Das sind im Übrigen die gleichen Exportziele die Russland und die Ukraine haben – bei diesen kommt jedoch noch die Türkei hinzu.

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